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Olderdalen – Narvik

Nach einer fast durchschlafenen Nacht (ob ich mich jemals an den Lärm der Möwen gewöhne?) zeigt der Blick nach draussen wieder, dass es ein regnerischer Tag wird. Klar muss man auch mit Regentagen klarkommen, aber ich habe heute wirklich keine Lust auf stundenlanges im Regen laufen. Ich jammere bei Sarah und meiner Mama etwas rum, dass ich am liebsten noch eine Nacht bleiben möchte. Von beiden kommt dann ziemlich schnell die Antwort, dass ich das doch tun soll. Wer sagt schon, dass man nur ein Ruhetag in der Woche machen soll. Zudem sollte ich sowiso nicht zu früh in Abisko sein, wenn ich nicht eine Schneewanderung machen will. Also egal was andere denken; ich beschliesse eine weitere Nacht in Olderdalen zu verbringen. Immerhin ist dies hier meine Reise und niemandes sonst. Ich kann Machen und Tun was ich will. Okay fast. Obwohl ich dies tief in mir weiss, muss ich mich immer wieder selber daran erinnern. Ich frage mich weshalb ich mich für mein Tun und Machen überhaupt rechtfertige. Ich bin müde, lustlos und mag heute nicht wandern. Punkt. Das Buch von Hape hilft mir dabei dies aber auch besser zu akzeptieren. Er hat einige Etappen mit dem Zug gemacht und auch mehrere Ruhetage eingebaut. Ich merke selber, dass ich mehr auf mich und mein Körper hören muss, wenn ich weiter gehen will. Ich bin schon gespannt auf das Buch von Martin und ob es auch dort Parallelen geben wird.

Etappenplanung

Ich bin so müde heute, dass ich mein Tag mit einem kurzen Rundgang durch Olderdalen, lesen, schreiben und einem langen Mittagsschlaf verbringe. Herrlich, Mein Körper scheint die Ruhe zu brauchen.
Dazu mache ich mir noch Gedanken über eine bevorstehende Etappe. Zwischen Samuelsberg und Skibotn sind es 32 Kilometer. Wie ich den Weg einschätzte anhand der Karte gibt es auf dieser Strecke fast keine Häuser. Ganz sicher kein Camping. Ob ich irgendwo mein Zelt aufstellen kann? Ich drücke mich im Moment aufgrund der Temperaturen auch etwas vor dem Zelten.
32 Kilometer sind für mich definitiv zuviel. Ich erkundige mich bei meinem Airbnb Vermieter und er ist der Meinung, dass entlang dieser Strecke ein Campen zu gefährlich sei aufgrund der aktuellen Erdrutsch Gefahr. Ich erkundige mich noch bei einer weiteren Einheimische die für mich rumfragen wird. Eines ist jedoch klar: Safety first. Ich werde kein Risiko eingehen, denn dass muss ich niemandem beweisen. Falls nötig werde ich in Samuelsberg früh aufstehen und den Bus nehmen.

Regentage

Am nächsten Tag sollte das Wetter wieder einigermassen schön sei. Laut App zumindest aber davon will der Himmel nichts wissen. Es ist grau und regnet. Meine Stimmung ist inzwischen weit unten im Keller. Ich habe keine Lust bei diesem Wetter zu wandern. Aber ich will und kann auch nicht ewig in Olderdalen bleiben. Also heisst es den inneren Schweinehund überwinden und losmarschieren. Nach x Versuchen sitzt der Poncho und ich marschiere Richtung Birtavarre. Zum Glück sind es sogar etwas weniger als 20 km.

Aufheiterung vom Meer

Ich bin ca. 30 Minuten unterwegs als ich ein Schnauben vom Wasser her vernehme. Ich blicke aufs Wasser und da ist ein Schwarm kleiner Wale oder Delfine. Mein Rucksack fliegt nur so an den Strassenrand und ich über die Strasse. Die Tiere sind leider sehr schnell weg, aber die kurze Begegnung hat meine Laune definitiv gehoben. Es ist wahnsinnig eindrücklich die Tiere zu beobachten.
Ich versuche meinen Poncho wieder über den Rucksack zu ziehen, was mir einfach nicht mehr gelingen will. Frustriert stehe ich am Strassenrand und stampfe und fluche einfach mal eine Runde vor mich hin. Ich möchte nicht wissen was die vorbeifahrenden Autos von mir denken. Die letzten Tagen waren für mich nur teilweise toll. Um die Mittagszeit bis Abends gefällt es mir. Abends friere ich aber immer extrem und bin teilweise zu erschöpft um überhaupt noch etwas zu essen. Ich weiss, dass ich ab Skibotn auf den Trail könnte. Die Schneesituation sieht gut aus. Dank einer Nachricht von Martin ( https://norgepalangs2013.com) bin ich auch für einige Stunden motiviert auf den Trail zu gehen.

Von der Strasse auf den Trail?

Es bedeutet für mich aber auch die Sicherheit der Strasse etwas aufzugeben. Klar kann ich auch beim Trail mal wieder in die Zivilisation zurück. Die Strasse bietet mir aber im Moment einen Schutz und Sicherheit. Mental bin ich im Moment noch nicht wirklich bereit dies aufzugeben. Obwohl ich bisher nie Angst hatte, auch Zuhause nicht, ist diese plötzlich da. Angst vor einem möglichen Gewitter; Angst in eine Situation zu gelangen aus der ich selber nicht rauskomme. Es ist komisch, dass ich plötzlich für mich aus dem Nichts diese Ängste habe. Ich mache mir während der heutige Etappe soviele Gedanken wie nie. Wie geht es weiter? Soll ich auf den Trail und es bis Abisko versuchen? Es sind nur 8 Tage und spätestens in Abisko könnte ich wieder in die Zivilisation. Ich entscheide mich vorläufig für diesen Weg.

Der schlimmste Camping bisher

Nach 18 Kilometern und weiteren Wal Sichtungen erreiche ich Birtavarre und mache mich auf die Suche nach dem Camping. Ich bekomme eine kleine Hütte und als ich diese betrete frage ich mich, ob ich weinen oder lachen soll. Ich bin mir einfache Unterkünfte gewohnt und sicher nicht anspruchsvoll. Für den Preis von CHF 65.- hätte ich aber mehr erwartet. Eine lieblos eingerichtete Hütte, eher schmudelig als sauber. Zudem ist es ziemlich kalt. In der Nacht vorher habe ich für CHF 14.- eine weitaus bessere Unterkunft bekommen. Es hat zwar eine Platte zum kochen, diese ist jedoch defekt. Ich lege mich zuerst mal hin. Inzwischen habe ich so kalt, dass mein ganzer Körper nicht mehr aufhören kann zu schlottern. Die Heizung läuft auf Hochtouren, aber wärmer wird’s nicht. Meine Muskeln schmerzen nach 2h voller schlottern ziemlich.

Die Entscheidung

Ich bin in diesem Moment so gefrustet, dass ich mich meiner Mama und Sarah zuhause anvertraue. Es fällt mir schwer es auszudrücken aber seit Pfingsten bin ich mehr am durchbeissen statt geniessen. Auf dem Blog war davon bisher nichts zu lesen. Aber einige Dinge muss ich auch zuerst für mich selber ordnen können, bevor ich meine Gedanken schriftlich festhalten kann. Sich das selber einzugestehen und laut zu sagen ist für mich nicht einfach. Ich habe mich so auf meine Tour gefreut mich darauf vorbereitet, bin ich so schlecht darauf eingestellt? Kann man aber auf alles vorbereitet sein?
Es vergehen 3 Stunden und ich schlottere immer noch. Vor allem in meinen Beine ist das Muskelzucken extrem. Das ist etwas, was ich über diese Dauer nicht kenne. Die Option doch in den Süd Schweden zu fahren, wo es aktuell über 20 Grad ist, wird immer verlockender.
Ob es ein „Moment-Entscheid“ war oder nicht. Weshalb ich bei Plus-Graden so extrem kalt habe, dazu gibt es inzwischen einige Theorien. Aber mir selber wurde das Wichtigste überhaupt klar. Ich habe viel erlebt in den ersten Wochen. Ich träume im Moment sehr intensiv und denke über Dinge nach, die ich Zuhause eigentlich abgeschlossen habe. Mental bin ich gerade nicht in der Lage diese Tour so weiter zu führen. Dies würde sonst genau da Enden wo viele denken. Nämlich, dass ich mir was beweisen muss. Das Wichtigste ist, dies ist meine Auszeit. Ich muss den Weg gehen. Vom warme Sofa aus ein Urteil zu bilden wie ich empfinde und mich fühle ist einfach. Aber ich habe mir diese Auszeit erarbeitet. Klar gehört es auf solch einem Trip dazu sich aus der Komfortzone zu bewegen; Dinge in Kauf zu nehmen, die nicht so laufen wie man es gerne hätte. Mal über Schmerzen hinwegsehen (wer meine Füsse gesehen hat, weiss das habe ich hinter mir) aber es gehört für mich auch dazu Spass an der Geschichte zu haben. Nicht 24h/ 7 Tage lang, dass geht nicht und das weiss ich. Ich will eine tolle Zeit erleben und kein Kampf. Es gibt sicher die, welche eine Tour besser durchbeissen als ich. Aber das ist im Moment sowas von egal. Genau darum geht es mir nicht.
Ich beschliesse also in diesem schmuddeligen Camping während einer schlaflosen Nacht, dass ich morgen den Zug nach Göteborg nehme, mir unterwegs 2-3 Ruhetage gönne um mich mental zu erholen und dann mein Weg vom Süden nach Norden gehe. Ein Bauchentscheid, der schon länger im Kopf umherschwirrt. Warum ich nicht bereits in Alta in den Süden wollte? Weil es da deutlich wärmer war. Ich habe diese Woche zwischen Alta und Storslett sehr genossen. Es lief fast so wie ich mir das vorgestellt habe.

Ich hätte einige Dinge verpasst, die ich nicht missen möchte. Ganz zuoberst stehen da die tollen Begegnungen. Vorallem die mit Emma, aber auch die mit dem Bündner Fahrradfahrer.
Für einige mag meine Reise chaotisch erscheinen. Nun ich bin ein Chaot und ich gestehe mir langsam ein, dass wohl auch eine Chaotische Reise einfach zu mir passt. Einige gehen konsequent von A nach Z. Immer schön der Reihe nach, man arbeitet die Strecke ab welche sich man vorgenommen hat, Punkt für Punkt. Aber muss den jede Fernwanderung gleich sein? In meinen Augen nicht und wenn ich aus diesem Grund keine richtige Fernwanderin bin für einige, ist das auch egal. Das Wichtigste ist, dass jeder der eine Auszeit plant diese so macht, dass es für ihn stimmt. Nicht für die Familie oder Freunde, nicht für Blogleser oder Instagram Followers. Meine echte Freunde und Familie sind glücklich, wenn ich das bin.
Ich weiss nicht ob mein Entscheid richtig war. Aber es war ein Bauchentscheid. Wer weiss ob mich mein Bauch nicht auch vor einem Erdrutsch oder was auch immer gewarnt hat. Man weiss es nie und wird es auch nicht erfahren.
Nun werde ich mich aber in den wärmeren Süden begehen und hoffen das es dort dann so läuft wie ich mir das wünsche. Nicht jeden Tag und jede Minute aber zum grössten Teil.
Die Busfahrt nach Narvik ist sicher schon ein Erlebnis. Ich bin noch nie über 272 Kilometer mit dem Bus gefahren. Eine kaum endende Busfahrt, die ich aber mit dem Blick aus dem Fenster geniessen konnte.

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3 Kommentare

  1. Dagmar Pechlivanis 3. Juni 2018

    Oh Sabrina, deine Zeilen hier auf dem Sofa in der komfortablen Zivilisation zu lesen, finde ich ganz spannend. Schon die letzten Tage habe ich mich gefragt, wie du es schaffst, dich zu motivieren und keine Angst zu haben. Absichtlich habe ich dich nicht gefragt, weil ich dich nicht auf “ dumme“ Gedanken bringen wollte. Umso wichtiger finde ich deinen Entscheid auf deinen Bauch zu hören.
    Genau wie du sagst, dein ganzes Abenteuer muss für dich und nur für dich stimmen. Es kommt gut. Tschüss und liebe Grüsse Dagmar

    • Sabrina 4. Juni 2018 — Autor der Seiten

      Hoi Dagmar

      Danke für deine Nachricht. Ich bin inzwischen auch sehr dankbar das ich auf meinen Bauch gehört habe. Es braucht einfach manchmal eine Weile bis es auch im Kopf angekommen ist.

      Liebe Grüsse

      Sabrina

  2. Rainer 5. Juni 2018

    Hallo Sabrina.

    Ich finde es sehr gut, dass du die vernünftigste Entscheidung getroffen hast, die es aus meiner Sicht in deiner Situation gibt. Es ist einfach sehr vernünftig bei dem Wetter von Süd nach Nord zu laufen. Ich hätte es genauso gemacht.

    Ich bin in Gedanken oft bei dir, während ich hier unter der Hitze stöhne. Für mich steht nach deinen Erfahrungen immer mehr fest, mein Trail durch Skandinavien wird von Flensburg zum Nordkap gehen.

    Von Herzen weiterhin alles gute für dich vom E1 aus Deutschland …. Rainer

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